Gais (Transkription Nr. 1591)

Schulort: Gais
Konfession des Orts: reformiert
Signatur der Quelle: BAR B0 1000/1483, Nr. 1458, fol. 69-72v
Standort: Bundesarchiv Bern
Kanton 1799: Säntis
Distrikt 1799: Teufen
Agentschaft 1799:
Kirchgemeinde 1799: Gais
Ort/Herrschaft 1750: Appenzell Ausserrhoden
Kanton 2015: Appenzell Ausserrhoden
Gemeinde 2015: Gais
In dieser Quelle wird folgende Schule erwähnt:
  • Gais, 2. Schule (Niedere Schule, reformiert)

28.02.1799

Freiheit Gleichheit
Bürger Minister!
Lebhaft fühle ich die Unzwekmäßigkeit der bisherigen Schuleinrichtungen, mußte mich aber, da mir thätige Unterstützung der der Vorgesezten fehlte, bequemen, den gewohnten Gange zu gehen, und den alten Schlendrian als Regel anzunehmen.
Sie könen daher leicht denken, B. Minister, wie erwünscht es mir habe seyn müßen, aus dem Helvetischen Volksblatte, dem Schweizerischen Republikaner u dem Schweizerbotten zu vernehmen, daß die Helvetische Regierung das Schul- und Erziehungswesen, so wie die Wichtigkeit der Sache es erfordert, ihrer Aufmerksamkeit würdige u. bereits an verschiedenen Orten Anstalten zur Verbeßerung deßelben getroffen habe.
||[Seite 2] Mein beynahe gesunkener Muth erhebt sich nun wieder, indem Jhre Nachforschungen über den Zustand der Schulen mich hoffen laßen Sie werden mit Jhrer gewohnten rastlosen Thätigkeit, die beßere Einrichtung derselben, so viel möglich, auch bey uns beschleünigen.
Jch eile also, Jhre vorgelegten Fragen, so weit sie mich und meine Schule betreffen, mit offener Freymüthigkeit zu beantworten.

I. Lokal-Verhältnisse.
I.1 Name des Ortes, wo die Schule ist.
I.1.a Ist es ein Stadt, Flecken, Dorf, Weiler, Hof?
I.1.b Ist es eine eigene Gemeinde? Oder zu welcher Gemeinde gehört er?
I.1.c Zu welcher Kirchgemeinde (Agentschaft)?
I.1.d In welchem Distrikt?
I.1.e In welchen Kanton gehörig?
I.2 Entfernung der zum Schulbezirk gehörigen Häuser. In Viertelstunden.
I.3 Namen der zum Schulbezirk gehörigen Dörfer, Weiler, Höfe.
I.3.a Zu jedem wird die Entfernung vom Schulorte, und
I.3.b die Zahl der Schulkinder, die daher kommen, gesetzt.
I.4 Entfernung der benachbarten Schulen auf eine Stunde im Umkreise.
I.4.a Ihre Namen.
I.4.b Die Entfernung eines jeden.
II. Unterricht.
II.5 Was wird in der Schule gelehrt?
II.6 Werden die Schulen nur im Winter gehalten? Wie lange?
II.7 Schulbücher, welche sind eingeführt?
II.8 Vorschriften, wie wird es mit diesen gehalten?
II.9 Wie lange dauert täglich die Schule?
II.10 Sind die Kinder in Klassen geteilt?
III. Personal-Verhältnisse.
III.11 Schullehrer.
III.11.a Wer hat bisher den Schulmeister bestellt? Auf welche Weise?
III.11.b Wie heißt er?
III.11.c Wo ist er her?
III.11.d Wie alt?
III.11.e Hat er Familie? Wie viele Kinder?
III.11.f Wie lang ist er Schullehrer?
III.11.g Wo ist er vorher gewesen? Was hatte er vorher für einen Beruf?
III.11.h Hat er jetzt noch neben dem Lehramte andere Verrichtungen? Welche?
III.12 Schulkinder. Wie viele Kinder besuchen überhaupt die Schule?
III.12.a Im Winter. (Knaben/Mädchen)
III.12.b Im Sommer. (Knaben/Mädchen)
IV. Ökonomische Verhältnisse.
IV.13 Schulfonds (Schulstiftung)
IV.13.a Ist dergleichen vorhanden?
IV.13.b Wie stark ist er?
IV.13.c Woher fließen seine Einkünfte?
IV.13.d Ist er etwa mit dem Kirchen- oder Armengut vereinigt?
IV.14 Schulgeld. Ist eines eingeführt? Welches?
IV.15 Schulhaus.
IV.15.a Dessen Zustand, neu oder baufällig?
IV.15.b Oder ist nur eine Schulstube da? In welchem Gebäude?
IV.15.c Oder erhält der Lehrer, in Ermangelung einer Schulstube Hauszins? Wie viel?
IV.15.d Wer muß für die Schulwohnung sorgen, und selbige im baulichen Stande erhalten?
IV.16 Einkommen des Schullehrers.
IV.16.A An Geld, Getreide, Wein, Holz etc.
IV.16.B Aus welchen Quellen? aus
IV.16.B.a abgeschaffenen Lehngefällen (Zehnten, Grundzinsen etc.)?
IV.16.B.b Schulgeldern?
IV.16.B.c Stiftungen?
IV.16.B.d Gemeindekassen?
IV.16.B.e Kirchengütern?
IV.16.B.f Zusammengelegten Geldern der Hausväter?
IV.16.B.g Liegenden Gründen?
IV.16.B.h Fonds? Welchen? (Kapitalien)
Bemerkungen
Schlussbemerkungen des Schreibers

Dieß ist B. Minister, der Zustand meiner Schule Jhrer Klugheit überlaße ich es ganz, diejenigen Maaßregeln zu ergreifen, welche Jhnen zur zwekmäßigern Einrichtung derselben nöthig scheinen.

Unterschrift

Gruß u. Hochachtung
Gaiß den 28ten Feb. 1799.
Hermann Krüsi Schullehrer

Fliesstextantworten
Lokal

Schulort. Sie ist in der Gemeinde Gaiß, im Dorf daselbst zum Distrikt Teufen, Kanton Sentis gehörig.
Schulbezirk. Jm Dorf und innerhalb einer Viertelstunde um daßelbe herum befinden sich ohngefehr 160 Häuser innerhalb der zweiten Viertelstunde 60. (Für diesen Bezirk sind im Dorf 2 Schulen, wo jeder Hausvater seine Kinder schicken kann in welche er will.)
Gegenden. Die zu diesem Schulbezirk gehörigen Gegenden sind das Dorf 42, um daßelbe herum 25, Obergaiß 24, Zellweg und Mühlpaß 36, Gaißeran 20 Zwißlen ||[Seite 3] und Schachen 33, Rothenwies 30. Häuser.
Benachbarte Schulen. Jn dem Umfang dieser Gemeine sind außer den bemeldten 2 Dorfschulen noch 2 Schulen, die einte eine 1/2 Stunde vom Dorf Riedli genannt, die ander 3/4 Stunden davon in Steinläuten gegen dem Bühler.

Unterricht

Schulzeit Die Schule wird Sommer und Winter gehalten; durchs ganze Jahr dauert sie am Vormittag von 9. bis 11. Uhr, u. am Nachmittag nimt sie um 1. Uhr ihren Anfang u. währet im Winter bis 3. Frühling und Herbst bis 3 1/2, und im Sommer bis 4. Uhr.
Anmerkung. Ermüdend für Lehrer und Lernende ist in der heißen Sommerszeit das 3. Stunden lang ununterbrochene Schulhalten, bey einem Gedränge von Kindern, die sehr verschiedene Lektionen haben: denn es ist einmal äußerst schwer, alle diese Kinder gehörig zu beschäftigen; ferner ist leicht zu erachten daß der unatürliche Zwang zu 3 Stunden langem Stillsitzen, Kindern von 5. 6. 7. Jahren, die voll Leben sind nicht behagt; Zudem schadet die durch Ausdünstung verinehrte Hitze ihrer Gesundheit ||[Seite 4] macht sie niedergeschlagen, und benimmt ihnen die Lust zum Lernen.
Jch machte vor ein Paar Jahren die Probe, die Schulzeit am Nachmittag einzutheilen, und ließ die kleinen Kinder, welche nur Buchstaben kennen, Buchstabieren u Lesen lernten von 1. bis 2. Uhr, die größern hingegen, welche schreiben mußten, von 2 bis 4 Uhr in die Schule kommen. Die Vortheile dieser Eitheilung für mich und die Kinder waren auffallend, indeßen da einige Eltern unzufrieden waren, daß ihre Kinder nicht zu gleicher Zeit {in} die Schule gehen konnten, blieb es seither wieder beim Alten.
Klaßen. So viel sich thun ließ, habe ich meine Schüler in 3 Klaßen getheilt, nemlich in die Buchstabier- 1te u. 2te Leseklaße.
Bücher. Vor einigen Jahren wurden zum Buchstabieren u Lesen zwey für hiesige Schulen verfertigte Bücher eingeführt, wovon aber keine neüe mehr zu haben sind Zum Auswendiglernen werden gröstentheils der Zürcherische Katechismus und die sogenannte Heilsordnung (Herisau bey Konrad Walser) gebraucht.
||[Seite 5] Gegenstände des Unterrichts. Dasjenige was bisher in der Schule gelehrt wurde, bestand der alten Gewohnheit zufolge, hauptsächlich in Buchstabieren Lesen Schönschreiben und Auswendiglernen. Jndeßen bemühe ich mich, sie auch zum Rechtschreiben zu gewöhnen, besonders aber ihren Verstand und ihr Herz zu bilden. Zu dem Ende diktiere ich ihnen zuweilen etwas in die Feder und mache sie mit den nöthigsten orthographischen Regeln bekannt; erkläre ihnen dasjenige was sie lesen, katechisire sie darüber, mache Anmerkungen dazu, erzähle ihnen biblische u. andere Geschichte u. so. w.
Anmerkung. Daß die Kinder rechnen und allerley schriftliche Aufsätze verfertigen lernen, dafür war bisher sehr wenig gesorgt; nur an den Winterabenden hatte ich 4. 6. bis 10 in der Nähe wohnende Kinder zu im Rechnen zu unterrichten, die weitern aber blieben auch in dieser Absicht zurück.
Wenn die Kinder das 10te Jahr erreicht haben, gemeiniglich noch früher, werden sie der Schule entzogen und bleiben bis ins 15te Jahr, wo sie sich zur Vorbereitung auf den Genuß des Abendmahls einschreiben laßen, ohne allen Unterricht, vergeßen also natürlich noch dasjenige was sie in der Schule gelernt haben. Unbeschreiblich ist der Schade, ||[Seite 6] der daraus entsteht, daß in diesem Zwischenraum wo sie am fähigsten wären, nüzliche Kenntniße zu erlernen, ihr Verstand und Herz unbearbeitet bleibt!

Personal

Erwählungsart. Bisher wurden die hiesigen Schullehrer von den Gemeindsvorgesezten in Beyseyn des Pfarrers gewählt. Das Examen ist nicht der Rede werth. Ein Kapitel lesen und einige Zeilen schreiben, war alles.
Nahme. Alter. Stand. Mein Nahme ist Hermann Krüsi, gebürtig von hier, 24 Jahr alt, unverheürathet, (deßenohngeachtet habe ich nicht für mich allein zu sorgen, denn mein seliger Vater welcher schon vor 10 Jahren starb, hinterließ eine arme Wittwe mit 6. gröstentheils unerzogenen Kindern, mir also, als dem ältesten Sohn lag es ob, bey zunehmendem Alter Vaterstelle bey meinen jüngern Geschwistern zu vertretten.)
Vöriger Beruf. Anfangs mußte ich, um meiner Mutter und übrigen Geschwistern unsern Lebensunterhalt verdienen zu helfen, wöchentlich 5 Tage weben und alle Samstag als Bott auf St. Gallen gehen. Jn meinem 18ten Jahre nun wurde mir der Schuldienst anvertraut. Ohne alle Vorbereitung erhielt ich da einen Beruf, ||[Seite 7] wo Einsicht, Erfahrung und Menschenkenntniß so unentbehrlich nothwendig sind, und wo beim Mangel dieser Eigenschaften unzählige Hinderniße und Schwierigkeiten den neüangehenden Lehrer bestürmen. Dieß erfuhr ich auch. Nur meine natürliche Neigung zu diesem Geschäffte, war vermögend, jene zu besiegen.
Gerne würde ich meine ganze Zeit den Schulgeschäfften wiedmen, allein meine ökonomischen Umstände und die geringe Besoldung nöthigen mich, die Nebenstunden zu Weben, copieren u.s.w. zu benutzen. (Hoffentlich wird die Erwartung eines beßern Schicksals für die Schullehrer, nicht lange mehr unerfüllt bleiben. Ohne dieß — sähe ich mich gezwungen wieder meine Neigung eine andere Berufsart zu wählen.)
Anzahl der Schulkinder. Die Anzahl der Schulkinder ist sehr ungleich, überhaubt im Sommer groß, im Winter klein. Sie mag zur Sommerszeit bey gutem Wetter bis 90. und drüberseyn, im Winter hingegen gewöhnlich 20. bis 40. bey schlechter Witterung noch weniger, mehrentheils mehr Knaben als Mädchen, besonders im Winter.

Oekonomie

Schulfond. Das Schulkapital beträgt 4800 Gulden. Aus deßen Zinsen werden die Schullehrer, wahrend der Freyschul, das heißt, im Sommer, 20 bis 24 Wochen ||[Seite 8] besoldet. (Durch Vermächtniße erhält es zuweilen einen Zuwachs)
Während dieser Zeit zahlen die Gemeindsgenoßen u. diejenigen aus solchen Gemeinden, wo auch Freyschulen sind, keinen Schullohn, im Winter hingegen für jedes Kind wöchentlich sechs Kreuzer Dieß mag nebst der Witterung eine der vornehmsten Ursachen seyn, warum im Sommer so viel, im Winter aber so wenig Kinder die Schule besuchen.
Einkommen. Das Einkommen für mich als Schullehrer ist also folgendes: Während der Freyschul für jede Woche fl. 2; 30 xr. Jn der Lohnschule wöchentlich für jedes Kind 6 xr. Ferner an der Jahrrechnung am End des Jahrs 10. Gulden Trinkgeld.
Schulhaus ist keines vorhanden; für Hauszins und Holzgeld wird hier auch nichts bezahlt; folglich müßen alle dergleichen Ausgaben aus obigem Einkommen bestritten werden.

Zitierempfehlung: